Tuesday, December 30, 2014
Ich glaube an das Christkind!
Während
meiner frühen Kindheit waren die Wochen vor Weihnachten immer etwas Besonderes.
Unsere Tante Lisa erschien jeden Samstag im Advent um, wie es mir schien,
geradezu industrielle Mengen von Weihnachtsbäckerei herzustellen. Tante Lisa
war eine liebe, große, grauhaarige Dame mit riesigen Händen. Sie kannte uns
buchstäblich seit unserer Geburt, denn sie war die Hebamme, die bei der Geburt
meiner Schwester half, und ihre Gegenwart vermittelte Frieden, Geborgenheit und
Spaß. Deshalb war es immer ein besonderes Privileg ihr beim Backen zu „helfen“.
Genauso besonders waren dann die Abende als Familie, an denen wir um den
Adventskranz saßen, gemeinsam sangen oder etwas vorlasen, und unsere Mutter
regelmäßig weinte. Wir waren einander in solchen Zeiten näher als sonst, und
sie spürte das. Ich könnte noch viele andere Adventrituale erwähnen, und alle
vermittelten sie das Gefühl einer heilen Welt. Mit anderen Worten, ich glaube
an das Christkind, nicht nur als Bringer
von Geschenken, sondern als unsichtbare Macht, die mein Leben und jenes
meiner Lieben wohlwollend lenkte.
Natürlich
war auch die Desillusion vorprogrammiert. Eine unachtsame Nebenbemerkung
meines Vaters verriet, dass er, und
nicht das Christkind, die Handtasche meiner Mutter gekauft hatte. Es kam noch
schlimmer: ein Onkel nahm sich das
Leben, meine erste Liebe blieb unerwidert, und besagte Tante Lisa wurde
mit Multipler Sklerose diagnostiziert
und begann langsam zu verwelken. All das, angereichert durch ausgiebige
Lektüre französischer Existentialisten, produzierte tiefe Verunsicherung und
die Überzeugung, dass das Leben ein sinnloser Kampf und ein Tränental sei. Das
Christkind war gestorben, und ebenso der Weihnachtsmann, und der liebe Gott.
Es dauerte
vermutlich noch fünf oder sechs Jahre bis mir jemand erstmals die Christliche
Story auf eine Weise erklärte, die Sinn machte. Der liebe Gott war nicht der
Weihnachtsmann oder die gute Fee. Weder ließ er Schmerzen und Leiden nicht
einfach durch seinen Zauberstab verschwinden, noch war er ein Sadist, der die
Welt so eingerichtet hatte, damit Menschen unglücklich seien. Leiden und Verrat
war das Produkt menschlicher Freiheit, wenn wir unsere eigenen Wege statt die
Wege Gottes wählen. Aber Gott zeigte
sich solidarisch mit diesen Wesen, die er geschaffen hatte, und so
sandte er seinen Sohn, der unser Los teilen würde. Das war die
Weihnachtsgeschichte und sie brachte auf einmal Sinn in diese scheinbar
sinnlose Welt. Gott wurde Mensch und
brachte damit zum Ausdruck, wer er
zutiefst ist, Gott mit uns (Immanuel).
Es ist
diesen Dezember vierzig Jahre her, dass man mir diese Geschichte erstmals
erklärt hat, aber sie hat nichts von ihrer Kraft und Faszination verloren. Dementsprechend
haben mich auch die Neuigkeiten des vergangenen Jahres nicht aus der Bahn geworfen: weder die Vergewaltigung
der Schwester einer Bekannten, noch der Krebs einer anderen Tante, noch die
andauernde Plage von Ebola, Korruption und Unwettern in Afrika. Keines dieser
Dinge ist so mächtig wie die Liebe
dessen, der sich zum Kind gemacht hat, und er macht sich in diesen Situationen
gegenwärtig und verändert sie, ähnlich wie damals die Gegenwart meiner Tante
Lisa, die die Adventsamstage veränderte. Und so kommt es, dass ich auf neue
Weise an das Christkind glaube. Ich hoffe, ihr auch. Frohe Weihnachtsfeiertage!