Friday, March 19, 2010

 

Ketten und Ringe



Ein weissgoldener Ring mit drei Kreuzen, und an der Innenseite die Gravur „10.9.88 Deine Eltern“- seit 22 Jahren trage ich diesen Ring. Er erinnert mich an meine Eltern, die ihn mir damals geschenkt haben und die jetzt nicht mehr leben; aber noch viel mehr erinnert er mich an das Ereignis, zu dessen Anlass sie ihn anfertigen liessen. Nach etwa achtjähriger Prüfung beschloss ich damals aus freien Stücken, mein Leben Gott zu weihen als Eheloser.

Ich komme aus keinem sehr religiösen Elternhaus und mein Kindheitstraum war alles anderes als Priester oder Missionar zu werden; vielmehr plante ich, in die Fußstapfen meines Vaters zu treten und Arzt zu werden. Ich wollte all meinen Klassenkollegen zuvorkommen und die schöne Tina heiraten, ihr ein großes Haus bauen und dort mit ihr, drei Kindern und einem großen Hund leben. Doch irgendwie kam alles anders, sehr zum Leidwesen meiner Eltern. Mit vierzehn traf ich Menschen, die von ihrem Glauben nicht nur überzeugt, sondern auch beseelt und entflammt waren, für die Religion nicht eine Krücke, sondern eine Lebensperspektive darstellte. Gott war für sie eine persönliche Wirklichkeit, die man kennen und lieben konnte. Das stellte vieles in meinem Leben in Frage, beantwortete aber auch anderes. Und irgendwann begann auch ich zu glauben. Doch selbst auf diesen Schritt folgte nicht die für manche scheinbar logische Schlußfolgerung, Priester oder Mönch zu werden. Dazu brauchte es Hermann Hesse.

Mit siebzehn las ich das „Glasperlenspiel“ und war nicht nur von der esoterischen Welt des Magisters Ludi Josef Knecht fasziniert, sondern auch von dem Gedanken, sein Leben einer Sache zu weihen, in diesem Fall der Beherrschung des Glasperlenspiels. Ich wurde den Gedanken nicht los, dass so etwas nicht nur in Büchern und im fiktiven Kastalien, sondern auch in der Wirklichkeit und für die Sache Gottes möglich sein müsste. Und so begann meine sehr intuitive Suche nach einer Lebensform, in der ich mich Gott und seinem Reich weihen konnte. Erst im Nachhinein begann ich zu verstehen, dass dieser Gedanke schon sehr alt ist und in der Kirchengeschichte viele Ausprägungen erfahren hat; für eine 17jährigen Hippie war das neu, aufregend und revolutionär- letzteres übrigends auch für meine Eltern.

Nun lebe ich schon einundreißig Jahre bewußt diese Lebensform: ehelos, der Keuschheit verpflichtet, im Dienst an Gott und den Menschen. Kein kirchliches Amt hat mir das abverlangt, noch hat mir diese Entscheidung Türen für Verantwortung in religiösen Kreisen geöffnet. Es war und ist eine private, freie Entscheidung, die schönste vielleicht, die ich in meinem ganzem Leben getroffen habe, und ich habe sie nie bereut. Gab es Tage, an denen ich mich fragte, ob ich richtig gehandelt habe? Natürlich! Gab es Situationen, in denen ich versucht war, meiner inneren und äusseren Verpflichtung untreu zu werden? Selbstverständlich, aber Gott sei Dank kam es nie dazu. Insofern reihe ich mich ein in die Zahl derer, die ein Eheversprechen abgelegt haben und es auch nach dreissig Jahren noch nicht bereuen, die aber gleichzeitig wissen, dass ihre Entscheidung immer wieder angefochten war. Und wie sie kann ich ohne Zögern davon sprechen, wie schön dieses Leben ist, welches meine Entscheidung ermöglicht hat. Die innere und äussere Freiheit, die es ermöglicht, für viele Menschen dazusein, aber vor allem die größere Verfügbarkeit für Gott, die dadurch entsteht. Mein Leben spricht von einer Wirklichkeit, die das Diesseits übersteigt, und nur wenn es eine Ewigkeit gibt, hat mein Schritt damals einen Sinn gehabt.

Ich bin erfüllt, glücklich und dankbar, nicht verhärmt, frustriert oder neurotisiert durch meine Entsagung. Deshalb finde ich es seltsam, um nicht zu sagen beleidigend, wenn manche behaupten, dass eine Entscheidung zum Zölibat fast zwingend sexuelle Abwegigkeiten bedingt oder fördert. Ich lebe in Großbritannien, und 90 Prozent aller Mißbrauchsfälle hier werden in Familien verübt; dennoch käme es mir nie in den Sinn, das Institut der Ehe dafür verantwortlich zu machen, wenn Menschen sich zu sexuell abwegigen und strafbaren Handlungen hinreissen lassen. Warum also diese verkehrte Logik in Falle des Zölibats? Mein Ring erinnert mich daran, dass ich gebunden bin, doch diese Bindung ist freiwillig; sie ermöglicht mehr, als sie verhindert. Ich habe ein Versprechen an Gott abgelegt aus Dankbarkeit und Liebe. Viele Menschen heutzutage können mit dem Wort „Bindung“ nur Negatives assoziieren, als ob Bindungslosigkeit allein wahre Freiheit darstellen würde. Doch aus der Entwicklungspsychologie wissen wir, dass nur jener Mensch reift, der es vermag, gesunde Bindungen einzugehen. Sowohl Ehe als auch Zölibat können selbstverständlich ungeprüft und unreif eingegangen werden und sich dann als Last, Bürde und falsche Bindung entpuppen. Ein Ring kann ein Glied an einer Kette sein, die uns fesselt, oder ein glänzendes Schmuckstück, das seinem Träger Würde und Schönheit verleiht. Vielleicht ist es Zeit, auch einmal diesen Aspekt der Ehelosigkeit zu beleuchten?

Wednesday, March 10, 2010

 

Apollo und die Fastenzeit


Am Anfang Rilkes “Neuer Gedichte” steht sein “Archaischer Torso”. Es ist ein Sonnett über eine stark entstellte, aber dennoch sehr aussagekräftige griechische Statue. Daß Rilke zur Bildhauerei und zu Plastiken ein Nahverhältnis hatte, nimmt nicht wunder, war er doch jahrelang der Sekretär Auguste Rodins. Aber er tut mehr, als nur diesen Torso zu beschreiben; die letzte Zeile endet mit „Du musst dein Leben ändern“. Was hat es damit auf sich? Hier das Gedicht:


Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt,
darin die Augenäpfel reiften. Aber
sein Torso glüht noch wie ein Kandelaber,
in dem sein Schauen, nur zurückgeschraubt,

sich hält und glänzt. Sonst könnte nicht der Bug
der Brust dich blenden, und im leisen Drehen

der Lenden könnte nicht ein Lächeln gehen
zu jener Mitte, die die Zeugung trug.


Sonst stünde dieser Stein entstellt und kurz
unter der Schultern durchsichtigem Sturz

und flimmerte nicht so wie Raubtierfelle;

und bräche nicht aus allen seinen Rändern
aus wie ein Stern: denn da ist keine Stelle,
die dich nicht sieht. Du musst dein Leben ändern.

Alles, was von dieser Statue übrig bleibt ist ein Torso: wir wir wissen nicht, wie der Kopf oder die Augen ausgesehen haben mögen, dennoch geht von dieser Figur ein Glühen aus wie von einem Kandelaber. Im Schauen auf diese nackte Figur ist Rilke verblüfft über ihre Scham-losigkeit: trotz Nacktheit verbirgt sie nichts, sondern hält dem Blick des Beobachters stand, ja lächelt sogar zurück. Das Licht, welches von diesem Torso ausgeht, zieht Rilke in seinen Bann, scheint es doch ein geradezu göttliches Licht zu sein, wie von einem Stern ausgehend. Und auf einmal wird der Beobachter zum Beobachteten, und was er zuvor angesehen hat, sieht ihn nun an, mit aller Kraft. Unter diesem Blick leuchtet es dem Dichter ein, daß er sein Leben ändern muß.

Der Torso stammt von Apollo, dem Gott des Lichts und der Sonne. Sein ganzes Wesen ist Licht, und Licht geht von ihm aus. Aber nicht nur Licht, sondern auch Weisheit und Weisung, war er doch auch der Hüter des Orakels von Delphi. So scheint es, als ob über tausende von Jahre hinweg nicht allein die Form eines Kunstwerks auf Rilke einwirkt, sondern die göttliche Kraft Apollos selbst. Wie eine wortlose Mahnung führt der stumme Blick des Torsos zur Einsicht, daß es gilt, sich zu verändern.

Doch noch ein anderes Element schwingt mit. Es gab eine Zeit, wo Nackheit ohne Scham existierte, und zwar im Paradies. Adam und Eva waren nackt: körperlich, aber auch seelisch- sie trugen keine Masken, was sie in ihrem Herzen dachten, war nach aussen sichtbar. Mit der ersten Lüge begann ein Spiel, das bis heute andauert, in welchem wir uns verbergen, verkleiden und maskieren. Manchmal, nur ganz selten, gelingt es jemandem, durch die Fassade zu dringen in unser Innerstes und uns zu sehen, wie wir wirklich sind, doch zumeist haben wir Angst vor solcher Intimität. Aber gerade ein solcher Blick vermag es oft, in uns Veränderung hervorzubringen.

Die Wochen vor Ostern sind für viele Christen eine Zeit der Erneuerung. Wie der Frühling Neues in der Natur hervorbringt, so sollen Gebet und Reflektion auch bei uns neue Sprossen treiben. Dazu braucht es aber Licht und Sonne, und zwar göttliche. Machen wir es doch Rilke nach, und lassen wir uns anschauen, in all unserer Nacktheit und Unvollkommenheit. Das kann anfänglich schmerzhaft und peinlich sein, denn die Wahrheit tut weh; aber es ist der erste Schritt hin zur Veränderung, zur Umkehr. Vielleicht ist es dann auch uns gewährt, noch einen ganzen Band „Neuer Gedichte“ zu verfassen.


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