Friday, October 10, 2008

 

Mensch werde wesentlich

Jüngst las ich wieder einmal den „Cherubinischen Wandersmann“ von Angelus Silesius: jeder Mittelschüler musste ein paar Verse von ihm auswendig lernen, ohne aber oft seine Tiefgründigkeit zu bemerken. So schreibt er unter anderem: "Mensch, werde wesentlich; denn wann die Welt vergeht, So fällt der Zufall weg, das Wesen, das besteht.“ Diese Zeilen sind immer gut zu lesen, aber angesichts der derzeitigen Weltlage nehmen sie für mich eine neue Aktualität an.

Niemand weiss so recht, wie sich die Bankenkrise auf die weitere Weltwirtschaft auswirken wird und irgendwie hoffen wir alle, mit einem blauen Auge davonzukommen. Vielleicht meinen wir sogar, dass die Regierungen, die ja nun versprochen haben, unsere Bankeinlagen zu garantieren, doch wieder alles kitten werden können, ähnlich der Eltern, die scheinbar magisch zerbrochenes Spielzeug wieder zu reparieren vermögen. Aber ein näherer Blick macht doch sehr schnell klar, dass wir so billig nicht davonkommen werden: rund 20% der meisten Pensionsfonds sind dahingeschmolzen und es ist fraglich, wie schnell diese sich wieder erholen werden; Garantien des Staates beruhen letztlich nur auf deren Fähigkeit, Steuern einzutreiben und Geldscheine zu drucken, sprich uns dieses Geld aus der Tasche zu nehmen oder aber den Wert jener Summe in unserer Hosentasche zu schmälern. Ob wir wirklich dort landen werden, wo mein Nachbar uns sieht, wenn er von der „Great Depression“ spricht und Bilder von Steinbecks Früchte des Zorns heraufbeschwört?

Eigentlich ist es egal, wie ernst die Wirtschaftskrise wird, die sich zusammenbraut, denn vorhersagen können wir sie sowieso nicht. Viel bedeutsamer ist die Frage, welche Reaktionen das Wissen um bevorstehenden Wertverlusts unseres Portefeuilles bei uns auslöst: ist es Angst, Panik, Ärger, Verzweiflung? Versuchen wir noch schnell, unsere Investionen zu retten und irgendwie die Statistik auszutricksen? Führt die Ungewissheit zum Horten, Geizen und Raffen? Oder merken wir auf einmal, wie solidarisch die ganze Welt geworden ist, sodass ein Husten in den USA schwere Grippe in Asien und Österreich auslöst? Denken wir nur an uns selbst, oder gehen unsere Gedanken zu jenen, die bedeutend ärmer sind und die aufgrund der Krise vielleicht selbst das wenige (oft in Form von Hilfsgütern) nicht mehr bekommen? Führt die Krise zu verstärkter Großzügigkeit, oder zum Verschließen unserer Hand.

In gewisser Weise können wir an unserer Reaktion messen, wie sehr Geld zu unserer Sicherheit geworden ist. Was wird nicht alles in Geld gemessen: der Wert von Häusern, Arbeitsleistungen, Positionen...als ob dies ein verlässlicher Maßstab wäre! Meine Tante erinnert sich noch an die Zeit, als man zweimal täglich seinen Lohn ausbezahlt bekam und eigentlich der Wäschekorb, in dem man die Scheine wegtrug, mehr wert war als der Inhalt. Ein Gleichnis der Bibel spricht in diese Situation: „Auf den Feldern eines reichen Mannes stand eine gute Ernte. Da überlegte er hin und her: Was soll ich tun? Ich weiß nicht, wo ich meine Ernte unterbringen soll. Schließlich sagte er: So will ich es machen: Ich werde meine Scheunen abreißen und größere bauen; dort werde ich mein ganzes Getreide und meine Vorräte unterbringen. Dann kann ich zu mir selber sagen: Nun hast du einen großen Vorrat, der für viele Jahre reicht. Ruh dich aus, iß und trink, und freu dich des Lebens!“ Der reiche Mann meint also, dass Geld dazu da ist, es zu horten und es sich gutgehen zu lassen. Die Antwort Gottes wirkt hart: „Du Narr! Noch in dieser Nacht wird man dein Leben von dir zurückfordern. Wem wird dann all das gehören, was du angehäuft hast?“ Mit anderen Worten kann man Reichtum nicht lagern, denn er ist vergänglich: entweder Bankenkrisen essen ihn auf, oder aber wir müssen ihn zurücklassen, wenn wir sterben. In beiden Fällen schien das Horten eine schlechte Investition: anstatt diesen Reichtum gleich Donald Duck aufzuheben und sich darin sicher fühlen, hätte man andere damit reich - oder zumindest weniger arm- machen können.

Das klingt revolutionär, kommunistisch, unverantwortlich, und in gewisser Weise ist es das auch. Aber letztendlich ist es nichts anderes als vernünftig: wenn wir den wahren Wert von Reichtum begreifen, dann wissen wir, wie flüchtig, zufällig und unverdient er im Grunde ist. Wenn wir „wesentlich werden“ wollen, dann ist eine gewissen Freiheit von Besitz unumgänglich, ob wir Mönch sind oder Familienvater. Könnte es sein, dass die gegenwärtige Krise sich als Chance entpuppt? Silesius würde diese Frage bejahen.

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