Saturday, July 05, 2008

 

Zur Freiheit verdammt- durch Sühne befreit?

Es ist sicherlich schon 14 Jahre her, in meiner Zeit als Studentenseelsorger in London, und dennoch bleibt mir dieser Abend noch immer lebhaft in Erinnerung: wir waren etwa 40 junge Menschen, und ich hatte einen Vortrag zu halten, und aus einem mir bis heute unbegreiflichen Grund machte ich einen Witz, der eine jungen Studentin verletzte. Als ich mich nach ihr umsah, um das Malheur zu beheben, war sie schon weg- und ward nie mehr gesehen. Was gäbe ich noch heute dafür, mich bei ihr entschuldigen zu können. Seither ist dieser Ereignis in mein Gedächtnis eingeätzt als „the most embarrassing moment of my life“, wie es in einem englischen Gesellschaftsspiel heisst.

Sicherlich haben wir alle solche Momente, wo wir etwas „verbocken“ und wünschten, es wiedergutmachen zu können. Doch seit wir zu groß geworden sind, um auf Mutters Schoß zu sitzen hat auch unser Vater seine scheinbare Allmacht verloren und kann diese Dinge nicht einfach „wieder gut machen“; wir sind vielmehr damit konfrontiert, dass unsere Taten negative Konsequenzen hinterlassen, die wir nicht mehr ausbessern können. Je schlimmer die Tat, umso grausamer die Gewissensbisse, um nicht zu sagen das Trauma, und viele von uns schleppen solche Dinge noch lange mit uns.

Genau das ist das Thema des Romans „Abbitte“ von Ian McEwan, der letztes Jahr mit Keira Knightley verfilmt wurde: ein dreizehnjähriges Mädchen beschuldigt, teils aus Eifersucht, teils aus Ignoranz, den Freund ihrer Schwester eines sexuellen Vergehens an ihr. Dieser muss ins Gefängnis und danach an die Front; damit nehmen das Leben ihrer Schwester Cecilia und jenes von Robbie eine andere, sehr tragische Wende. Doch als Briony, die Dreizehnjährige, sich ihres Vergehens bewusst wird, ist es zu spät, und sie muss den Rest ihres Lebens mit ihrer Schuld leben. Nicht einmal das Verarbeiten in Form eines Romans vermag ihr Linderung zu verschaffen.

Im Englischen lautet der Titel dieses Buchs „Atonement“, wörtlich mit Sühne oder Buße zu übersetzen; dies sind beides Worte mit religiösen Obertönen, und das nicht zufällig. Denn im Kern des Romans steht die Frage, wie man Schuld sühnen und schweres Vergehen wiedergutmachen kann. Es wird schnell klar, dass die Bitte um Verzeihung Vergangenes nicht ungeschehen machen kann; selbst eine Gerichtsurteil, welches Briony dazu verdonnern würde, ein paar Jahre in Gefängnis zu verbringen, würde das Glück des Paares nicht widerherstellen.

Gibt es also nichts, ja auch gar nichts, das Schuld sühnen könnte? Wenn dem so ist, dann hat Sartre recht, wenn er sagt, dass wir zur Freiheit verdammt sind, und dass niemand uns helfen kann. McEwan lässt aber eine andere Möglichkeit durchleuchten: vielleicht sind wir nicht zu Freiheit verdammt, sondern erst dadurch wirklich frei, dass jemand anderer unsere Schuld sühnt. Das ist die Botschaft der Bibel, dass nämlich der Sohn Gottes Sühne geleistet hat. In seinem Tod am Kreuz hat Jesus für die Schuld von Briony, aber auch für meine, deine und die Schuld der ganzen Welt gesühnt: sie ist vergeben, und daher sind wir frei.

Wenn wir das glauben, dann leben wir nicht mehr mit der Last vergangener Fehler, sondern im Berwußtstein, dass es jemanden gibt, der mich liebt und den Preis bezahlt hat. Es gibt also doch einen allmächtigen Vater, der die Dinge wieder zu reparieren vermag. Sartre würde dazu natürlich meinen, dass dies nur als Krücke erfunden wurde, um die Last der menschlichen Existenz zu lindern. Ich kann ihm diese Meinung nicht nehmen; aber wie die Italiener sagen würden „Si non e vero, e ben trovato“ (wenn es nicht stimmt, so ist doch gut erfunden), und der Glaube an einen Erlöser befreit wirklich, nicht nur scheinbar. Und bis ich die junge Frau wiedertreffe, die ich damals verletzt habe, will ich auch sie der Sühne Gottes anbefehlen.


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