Tuesday, November 06, 2007

 

Ich habe Verwandte in Afrika- du auch?

Irgendwie ist Afrika derzeit fast allgegenwärtig in meinem Leben: Nachrichten, die jede Woche auf meinem Bildschirm landen, Schulpartnerschaften, die eine Bekannte zwischen ihrer Volksschule in Glasgow und einer anderen in Malawi einrichten will, mein Stofflöwe Fritz, der mich auf alle meine Reisen begleitet, ein Telefonat mit einer Ärztin, die soeben drei Monate in einem Buschspital in Uganda verbringt. Ganz abgesehen von Bananen, Tee, Kaffee, Zucker, Kakao, die zumindest hier in Großbritannien alle aus Afrika kommen. Und natürlich die viele gute Musik, die ich wöchtentlich horche: Goma von Hubert von Goisern, Tiken Joh Fakoly, Youssou D´Nour, Souad Massi usw.

Irgendwie sind wir regelmäßig mit Afrika konfrontiert, ohne aber deswegen zu reflektieren, was das für uns bedeutet. Letzte Woche besuchte ich das „Musee de l´Afrique Centrale“ in Tervuren, Belgien. Es existiert seit den Tagen, als König Leopold beschloss, sein Glück in Afrika zu suchen und er Investoren brauchte, die in das schwarze Gold Gummi zu investieren bereit waren. Deshalb baute er ein Prachtgebäude, welches dann Sammlungen mit verschiedenen „Mitbringseln“ aus dem Kongo beherbergen sollte. Seit damals hat sich nicht viel geändert: jeder Raum ist einem anderen Thema gewidmet, sei es Fauna, Flora, Bergbau usw., und fast wie in einem Märchenland wird beschrieben, was sich dort tut und was alles zu finden ist. Nirgendwo im eigentlichen Museum findet sich ein Stück geschichtlicher Selbstreflektion: einzig in einem ganz kleinen und neuen Teil wird die Geschichte der Entlassung Kongos in die Unabhängigkeit abgehandelt, und selbst da liegt das Schwergewicht darauf, dass radikale Bewegungen die weitere Existenz Kongos als belgische Kolonie unmöglich machten. All das ist umso erstaunlicher angesichts der Tatsache, dass Belgien voll ist von Einwanderern aus Kongo und anderen Teilen des französischsprachigen Afrikas, für die ein solches Museum geradezu skandalöst anmuten muss, fast so wie wenn in Österreich oder Deutschland ein Museum Osteuropas stünde mit all den Artefakten, die die Wehrmacht entdeckte in ihrem Drang nach Osten.

Woher kommt es, dass eine Welt, die so maßgeblich die unsere beeinflusst, sei es wirtschaftlich, kulturell oder geopolitisch, so wenig reflektiert wird? Manches hat sicherlich mit Ignoranz zu tun: bis vor ein paar Jahren hätte ich Mühe gehabt, auf eine leeren Karte Afrikas die einzelnen Länder einzuzeichnen. Manches hat auch mit der Fremdartigkeit dieses Kontinents zu tun, sodass wir nicht wissen, wie wir mit diesen Menschen und ihrer Kultur umgehen sollen. Und vielleicht fühlen wir uns auch manchmal von diesem Weltteil mit seinen Kriegen, Hungersnöten und Fluchtlingen bedroht, oder zumindest hilflos. Was können meine kleine Spende oder selbst der Aktivismus eines Bono wirklich ausrichten im Sudan, in Ruanda, in Nigerien?

Was wäre aber, wenn wir Afrika weder als exotisches Museumsstück noch als Bedrohung ansähen, sondern als langvermisste Verwandte? Ich hatte das Privileg, mit achtzehn in die USA zu reisen und dort erstmals einen weitschichtigen Onkel kennzulernen (fast klischeehaft, oder nicht?). Allein an seiner Nase war zu erkennen, dass seine Mutter eine Krauland war. Doch er konnte keine Wort Deutsch, fuhr einen riesigen amerikanischen Straßenkreuzer und trug weisse Lackschuhe. Vieles, wenn nicht sogar alles an seiner Verhaltensweise mutete fremd an, manches sogar anstößig. Aber ich erinnere mich noch gut, wieviel mir daran lag, ihn kennzulernen, ihn zu verstehen und ihn zu mögen, denn er war mein Onkel. Seither ist eine Freundschaft entstanden, die für beide Seiten sehr bereichernd ist.

Ähnliches könnte auch mit unseren afrikanischen „Verwandten“ geschehen, würden wir uns nur auf sie einlassen. Beim nächsten Kaffee mit Milch bitte daran denken, dass er von einem Verwandten gepflückt und verpackt wurde. Und wenn du genau hinsiehst kann es sogar sein, dass der Mann hinter der Theke, der ihn zubereitet hat, nicht aus Linz oder Lindau, sondern aus Lilongwe stammt.


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