Friday, December 01, 2006

 

Vom Ende der Welt

Ich stehe auf dem Verteiler einer NGO, die Krisenherde in dieser Welt beobachtet: diese Woche allein sind es Burundi, Azerbaijan, Kongo, Georgien, Uzbekistan und Libanon, von Irak und Afghanistan ganz zu schweigen. Und jeden Monat scheinen es mehr zu werden. Vor zwei Wochen verlautbarte ein Bankenkonsortium, dass es keine Wintersportinvestitionen mehr finanzieren würde, die an Orten unter 1000 Meter Seehöhe geplant sind. Nicht nur Al Gore scheint Global Warming entdeckt zu haben. Bonos Vordenker Jeffrey Sachs glaubt noch immer, dass die Milleniumsziele der UNO erreichbar sind, aber er wirkt immer einsamer mit dieser Auffassung: die meisten meinen, dass Armut eher zu- als abnimmt.

All diese Beobachtungen drängen geradezu auf die Frage hin, wie es weitergehen, oder noch mehr, wie das alles zu Ende gehen wird. Nur Mitglieder der Familie Vogelstrauss können ernsthaft behaupten, sich noch nie die Frage gestellt zu haben, wo die Geschichte hinsteuert. Es gibt nicht viele Modelle, die seit den Griechen dazu erstellt worden sind. Eine recht populäre Sicht vor noch 30 Jahren hat derzeit sichtlich ausgedient: Auguste Comte und andere meinten noch, dass wir uns in einer Spirale ewigen Fortschritts befinden. Nur wenige glauben noch an diese Erklärung. Der Marxismus und seine Vorreiter sahen Geschichte als etwas an, was in einer ewigen Bewegung von Auf und Ab, von These und Antithese immer wieder etwas Neues hervorbringt. Und dann gibt es natürlich noch die Sicht Nietzsches, die in letzter Zeit von Sympathisanten indischer Philosophie aufgewertet wurde, dass wir uns in einem Kreis bewegen, in welchem das Gleiche ewig wiederkehrt. Nichts Neues unter der Sonne!

Was denkst du, wenn du an Geschichte denkst? Oder ist der Weihnachtsstress schon so untragbar, dass solche Gedanken reine Zeitverschwendung sind? Vor vielen Jahren, in meiner Hippiezeit, fiel mir ein unscheinbares Buch in die Hände: Karl Löwith- Weltgeschichte und Heilsgeschehen. Ich war damals stark von Camus und Sartre geprägt, dank meiner Schulzeit im Lycee Francais, und das Absurde der menschlichen Existenz trieb viele von uns in den Alkohol, den Drogenkonsum oder gar den Selbstmord. Die Welt und ihre Geschichte schienen sinnlos, die Sicht Becketts machte Sinn: „Wir alle werden verrückt geboren. Manche bleiben es“ (Warten auf Godot). In diese Denke schlug Löwiths Buch wie eine Bombe ein. Er kontrastiert die verschiedenen Geschichtsphilosophien mit der biblischen Sicht von Geschichte, die ganz einfach so zusammenfassbar ist: Weltgeschichte hat einen Sinn und führt an ein Ziel. Diese Welt ist nicht wie ein treibendes Boot, welches von ökonomischen oder sozialen Zufällen umhergetrieben wird, sondern eher wie Zugvogel, der langsam, aber sicher Richtung Afrika fliegt, wenn es kälter wird. Es gibt ein Ziel! Anstatt eines Kreises oder einer Sinuskurve dient dem biblischen Geschichtsdenken ein Pfeil als Illustration. Alles steuert auf ein Ende und ein Ziel hin.

Für mich war diese Einsicht damals befreiend und hat mich vielleicht vor der Verzweiflung gerettet. Wenn man die Bibel genauer studiert, merkt man, dass sie durchzogen ist von der tiefen Überzeugung, dass unsere Welt und ihre Geschichte einen Sinn haben, und diese Sinnhaftigkeit verleiht jenen, die diese Sicht teilen, unbändige Hoffnung. Marx, Sartre und Nietzsche würden wir entgegenhalten, dass meine Sicht der Welt nur Selbstbetrug ist. Ich müsse der Wirklichckeit ins Auge schauen und die Sinnlosigkeit zulassen. Tatsächlich kann ich keinen Beweis für meine Meinung bieten, nicht einmal Löwith vermochte das. Aber ich merke, dass das biblische Modell die Wirklichkeit mindestens so gut erklärt wie alle anderen Versuche, und daher scheint es mir Anhörung zu verdienen.

Die Wochen vor dem Weihnachtsfest sind traditionell eine Zeit, in der Christen nachdenken, wo sie und die ganze Welt hinsteuern. Besinnung, Einkehr, Verlangsamen sollten eigentlich diese Wochen kennzeichnen. Ist es wirklich Zeitverschwendung, sich ein wenig mit der vermutlich wichtigsten Frage der Menschheit auseinanderzusetzen, nämlich wo das alles hinführt? Vielleicht werden wir dann zu den wenigen, die zwar „verrückt geboren wurden, es aber nicht bleiben“. Gutes Nachdenken!


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