Monday, December 18, 2006

 

Fürchtet euch nicht zu leiden

Fürchtet euch nicht zu leiden, die Schwere,
gebt sie zurück an der Erde Gewicht;

schwer sind die Berge, schwer sind die Meere.

Diese Worte stammen von Rilke (Sonette an Orpheus). Darin besingt er eine verstorbene Frau namens Wera Knoop. Wieder einmal muss Rilke leiden, diesmal am Tod und Verlust eines lieben Menschen, und wer seine Biographie kennt weiss, dass es nicht das letzte Mal sein wird. Leiden, so meint er hier in Versen, gehört zum Leben, und je eher man sich daran gewöhnt, umso besser: „Fürchtet euch nicht, zu leiden“.

Tatsächlich kennen wir vielleicht auch Menschen, die an ihrem Leiden erstarkt sind, die der Schmerz größer gemacht hat: Viktor Frankl kommt uns in den Sinn, und viele andere, die die Shoah überlebt haben. So feierte zum Beispiel erst letzte Woche Alice Herz-Sommer ihren 103. Geburtstag: sie hat alle Verwandten im KZ verloren, aber die Musik hat ihr geholfen, das alles zu übertauchen, und noch heute spielt sie täglich drei Stunden Klavier. Doch für jeden, den das Leiden gestärkt hat, finden wir Tausende, die daran verzweifeln: ob es die Verletzten im Irak oder die Hungernden in Dafur sind, sie alle zweifeln an der Gerechtigkeit dieser Welt und an der Gutheit der Menschen. Und widerstrebt es uns nicht selbst, uns einfach zu fügen? Bäumt sich nicht etwas in uns auf, wenn wir selbst Leid erfahren oder andere sehen, die leiden müssen?

Gerade die Weihnachtszeit macht uns scheinbar feinfühliger für die Schmerzen anderer: „Licht ins Dunkel“ und viele andere karitativen Initiativen haben das schon lange erkannt. Ist das nur romantische Mache? Wollen hier Menschen nur ihr Gewissen ein wenig beruhigen, bevor sie sich zum fünfgängigen Essen setzen?

Die Botschaft von Weihnachten wird jährlich mehr verschüttet unter Mediamarktkampagnen und Punschhüttenzauber; und dennoch blitzt fast unerkannt eine Wahrheit durch, nämlich dass es das Gute und Reine gibt. Abgesehen von jeder Christkindromantik merken wir alle, dass wir uns nach einer Welt sehnen, wo Friede herrscht und es Leiden nicht mehr gibt. Doch diese Vorstellung ist keine Utopie, keine Märchenwelt, aus der wir am 2. Jänner aufwachen müssen. Die biblische Botschaft von Weihnachten kann man mit dem Satz des Heiligen Athanasius auf den Punkt bringen: das Wort Gottes wurde Mensch, damit wir vergöttlicht würden". Mit anderen Worten hat Gott selbst Menschennatur angenommen und so unser Schicksal geteilt, mit allen Freuden und allem Leid. Aber es blieb nicht nur bei dieser Solidarität. Er hat durch seinen Tod und seine Auferstehung allen Menschen die Möglichkeit gegeben, zu ihrer ursprünglichen Bestimmung zurückzufinden. Diese Bestimmung, ob wir sie Himmelreich, Paradies oder ewiges Leben nennen, beinhaltet ein Ende aller Tränen und Schmerzen. Das Leid hat somit nicht das letzte Wort.


Damit hatte Rilke, ob er es wusste oder nicht, gar nicht so unrecht: wir brauchen uns vor Leiden nicht zu fürchten, denn es kommt eine Zeit, wo alles Leiden ein Ende haben wird. Und Weihnachten ist der Bote und ein Vorgeschmack davon!


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