Tuesday, February 21, 2006
Ich bin der Welt abhanden gekommen
Ich sitze in Starbucks an einem der seltenen Sonnentage in Belfast; der Poststreik geht in die dritte Woche, sodass weder Geburtstagswünsche noch Schecks durchkommen. Mein E-Mailserver scheint auch immer wieder Post zu verschlingen, sodass mein Lebensgefühl immer mehr die Züge Robinson Crusoes annimmt. Nur dass Robinson -zumindest im Roman- gesund war und das Wetter auf seiner Insel nicht Pudelmützen und selbst im Juni Strickpullis erforderte. Nein Depression habe ich noch keine, aber ich arbeite daran...
Da stieß ich auf ein Gedicht von Friedrich Rückert, welches in seiner Vertonung durch Mahler bekannt ist: „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Manche Verse beschreiben nur allzu gut, was ich derzeit erlebe. Die Welt „mag wohl glauben, ich sei ihr gestorben denn sie hat so lange nichts von mir vernommen“. Tatsächlich braucht es gar nicht lange, um den Anschluss zu verlieren: ein paar Wochen ohne Post, einige nicht beantwortete E-Mails, und man ist nicht mehr „in the loop“.
Doch am deutlichsten erlebe ich das „Sterben dem Weltgetümmel“ in meiner fast vollkommenen Arbeitslosigkeit. Zwar befolge ich die Ratschläge, die ich seit Jahren arbeitslosen Freunden gegeben habe: brav in der Früh aufstehen und nicht den Tag verschlafen, eine tägliche Routine abspulen, sich in der Volkshochschule in einen Kurs eintragen, Beziehungsarbeit leisten usw. Aber die harte Tatsache ist es, dass wir durch unsere Arbeit definiert werden, durch andere und durch uns selbst. Wer nichts arbeitet ist auch nicht wirklich was wert, oder?
Aber diese Auszeit hat mir auch seit langem erstmals die Gelegenheit verschafft, mit etwas größerer Distanz Das „Weltgetümmel“ zu beobachten. Es ist erstaunlich, wie schnell manche Tätigkeiten und Gremien ihren Glanz verlieren, wenn man nicht mehr dabei ist. Man fragt sich, warum man dem Dabeisein so viel Wert beigemessen hat und wieso man sich für so unersetzlich gehalten hat.
Ein letzter Baustein für meine Depression war letzte Woche der schnelle und überraschende Tod eines 28jährigen Freundes an einem Schlaganfall. Solche Ereignisse haben die heilsame Wirkung, uns auf das Wesentliche zu fokussieren. Stephen Covey stellt regelmäßig die provokante Frage: „Wer sagt schon auf dem Sterbebett „Ich wollte, ich hätte mehr Zeit im Büro verbracht“?“ Wir alle sterben früher oder später dem Weltgetümmel, die Frage ist nur, ob wir es zufrieden oder unzufrieden tun. Werden wir dann wünschen, vieles anders gemacht zu haben? Insofern bin ich dankbar für eine Generalprobe und hoffe, bald auch Rückerts letzten Vers zum meinen zu machen: „Ich leb´allein in einem Himmel, in meinem Lieben, in meinem Lied!“
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!
Friedrich Rückert, 1788-1866
Da stieß ich auf ein Gedicht von Friedrich Rückert, welches in seiner Vertonung durch Mahler bekannt ist: „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Manche Verse beschreiben nur allzu gut, was ich derzeit erlebe. Die Welt „mag wohl glauben, ich sei ihr gestorben denn sie hat so lange nichts von mir vernommen“. Tatsächlich braucht es gar nicht lange, um den Anschluss zu verlieren: ein paar Wochen ohne Post, einige nicht beantwortete E-Mails, und man ist nicht mehr „in the loop“.
Doch am deutlichsten erlebe ich das „Sterben dem Weltgetümmel“ in meiner fast vollkommenen Arbeitslosigkeit. Zwar befolge ich die Ratschläge, die ich seit Jahren arbeitslosen Freunden gegeben habe: brav in der Früh aufstehen und nicht den Tag verschlafen, eine tägliche Routine abspulen, sich in der Volkshochschule in einen Kurs eintragen, Beziehungsarbeit leisten usw. Aber die harte Tatsache ist es, dass wir durch unsere Arbeit definiert werden, durch andere und durch uns selbst. Wer nichts arbeitet ist auch nicht wirklich was wert, oder?
Aber diese Auszeit hat mir auch seit langem erstmals die Gelegenheit verschafft, mit etwas größerer Distanz Das „Weltgetümmel“ zu beobachten. Es ist erstaunlich, wie schnell manche Tätigkeiten und Gremien ihren Glanz verlieren, wenn man nicht mehr dabei ist. Man fragt sich, warum man dem Dabeisein so viel Wert beigemessen hat und wieso man sich für so unersetzlich gehalten hat.
Ein letzter Baustein für meine Depression war letzte Woche der schnelle und überraschende Tod eines 28jährigen Freundes an einem Schlaganfall. Solche Ereignisse haben die heilsame Wirkung, uns auf das Wesentliche zu fokussieren. Stephen Covey stellt regelmäßig die provokante Frage: „Wer sagt schon auf dem Sterbebett „Ich wollte, ich hätte mehr Zeit im Büro verbracht“?“ Wir alle sterben früher oder später dem Weltgetümmel, die Frage ist nur, ob wir es zufrieden oder unzufrieden tun. Werden wir dann wünschen, vieles anders gemacht zu haben? Insofern bin ich dankbar für eine Generalprobe und hoffe, bald auch Rückerts letzten Vers zum meinen zu machen: „Ich leb´allein in einem Himmel, in meinem Lieben, in meinem Lied!“
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!
Friedrich Rückert, 1788-1866